Am 02.10. hatte der SPD Ortsverein Wasserburg Besuch von der "hohen Politik": Michael Schrodi, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Bundestagsabgeordnete für die Landkreise Dachau und Fürstenfeldbruck nahm sich die Zeit, mit den zahlreich im Gasthof Huberwirt versammelten Mitgliedern und Sympathisant/innen des Ortsvereins in den Dialog einzutreten unter dem Motto "Wir müssen reden: Wie gerecht ist Deutschland? Chancengerechtigkeit, Klimaschutz und Infrastruktur - was muss moderne Wirtschafts- und Finanzpolitik jetzt tun?".
Nach seinem packenden, faktengespickten Impulsreferat, in dem er die aktuelle Verteilung von Einkommen und Vermögen, dazu die für eine gerechte Gesellschaft maßgeblichen Umverteilungsströme (Löhne, Steuern, Sozialversicherung) und ihre Ausprägungen speziell in Deutschland darstellte, aber von ihm auch die Chancen einer umfassenden Investitionsoffensive für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschland in den Mittelpunkt gestellt wurden, nahm eine intensive Diskussion zu den aufgeworfenen Aspekten seinen Lauf. Mitdiskutanten waren Manuel Halbmeier, DGB Vorsitzender Stadt und Kreis Rosenheim und NGG-Geschäftsführer und Wolfgang Untergehrer, Vorsitzender der ver.di-Betriebsgruppe im Finanzamt München und Vorsitzender der ehrenamtlichen Revisionskommission der ver.di auf Bundesebene, die Moderation übernahm Doreen Bogram. Den lebhaften Meinungsaustausch zu unterschiedlichsten Themenfeldern ergänzte eine Vielzahl von Fragen und Wortmeldungen der Anwesenden.
Michael Schrodi konnte tagesaktuell mitteilen, dass es gelungen sei, in den laufenden Haushalts-Verhandlungen insbesondere der FDP abzuringen, dass das Tariftreuegesetz, wonach staatliche Aufträge ab einem bestimmten Volumen an die Zahlung von Tariflöhnen im Unternehmen geknüpft werden muss, sicher verabschiedet werden würde. Daneben habe erreicht werden können, dass aus dem Gesetzentwurf zu sog. Wirtschaftswende komplette Fehlanreize wie ein Steuerrabatt für nach Deutschland ziehende Menschen wie auch die von Herrn Lindner geforderte Steuerbefreiung von Überstunden gestrichen wurden. Die Förderung einer steuerlichen Begünstigung von Überstunden würde von SPD wie auch DGB nicht deswegen abgelehnt, weil sie den Arbeitnehmer/innen nicht mehr Netto gönnen würden. Permanente Mehrarbeit führe zu erheblichen gesundheitlichen Schäden und damit zusammenhängenden Folgekosten für die Allgemeinheit. Gleichzeitig würde Arbeitgebern ein Werkzeug an die Hand gegeben, Vergütungsregelungen steuerlich durch scheinbare Absenkung der Arbeitszeit zu optimieren. Es ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass eine Befreiung von Steuern und damit gleichzeitig Sozialabgaben dazu führen würde, dass Arbeitnehmer/innen eigene Rentenansprüche verlieren würden.
Zentral sei die Sicherung des Industrie-Standorts Deutschland, wichtige Industriezweige wie die Chemie- oder Stahlbranche seien von günstigen Energiepreisen abhängig, an Lösungen arbeite die Koalition derzeit. Staatliche Investitionen im Umfang von mindestens 600 Milliarden Euro seien nach Berechnungen der verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstitute notwendig, um im Sinne einer funktionierenden öffentlichen Daseinsfürsorge die bröckelnde Infrastruktur (Schiene, Straße, Brücken, Schulen etc.) ausreichend zu ersetzen. Es werde unausweichlich und spätestens nach der nächsten Bundestagswahl zu Änderungen bei der sog. Schuldenbremse kommen, das Kaputtsparen Deutschland könne so definitiv nicht weitergehen. Als positives Beispiel stellte Michael Schrodi das aktuelle Infrastrukturprogramm der USA auf Basis des "Inflation Reduction Act" heraus. Dieses Kernstück der Wirtschaftspolitik der Regierung Biden zeige positive Wirkung und habe zusätzlich auch einen verstärkten und wegweisenden Fokus auf Klimaschutz.
Manuel Halbmeier stellte die Forderung nach einem pointierteren Tariftreuegesetz in den Mittelpunkt, die Zahlung von Tariflöhnen sollte generelle Vorgabe für alle Unternehmen sein und nicht allein für die Auftragsvergabe öffentlicher Stellen. Der gesetzliche Mindestlohn sei nur dann zielführend für faire Beschäftigungsverhältnisse, wenn flächendeckende Kontrollen und die Dokumentation der Arbeitszeiten sichergestellt seien. Hier hakte Wolfgang Untergehrer ein und verwies auf aktuelle Personallücken in der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (über 11.200 Beschäftigte), aber auch die diversen Diskussionen zu Dokumentationen in steuerlichen Zusammenhängen hin. Personalnotstände, aber auch massivster digitaler Rückstand seien auch in den Länderfinanzverwaltungen zu beklagen und das seit Jahrzehnten, damit einhergehend stets zurückgehende Prüfquoten bei den Unternehmen. Als kritikwürdig stufte er die Absprache zum bundesweiten Höchstanzahl von Steuerfahnder/innen ein, die seit Jahrzehnten unverändert niedrig geblieben sei. Es sei höchst ungerecht, dass Spitzenverdiener von diversen steuerlichen Förderungen viel stärker als Normalverdienende profitieren, als Beispiel führte er die Konstellation Kindergeld/ Kinderfreibetrag an. Einer derartigen Entschlackung des Steuerrechts - nicht in Richtung von "Bierdeckel-Parolen" - von außersteuerlichen Förderregelungen stimmte Michael Schrodi uneingeschränkt zu, dem Staat und der Gesellschaft müsste jedes Kind gleich viel wert sein.
Weitere Themenfelder waren die Förderung der Kinderbetreuung, die Förderung öffentlichen Wohnbaus, Einschnitte bei Steuergestaltungsmöglichkeiten für die Vermögenden und Besserverdienenden und ein soziales Bodenrecht, zu dem sich Hans-Jochen Vogel bereits vor Jahrzehnten entscheidende, bahnbrechende Konzepte erarbeitet hat.
Es war ein Abend, der viele finanz- und wirtschaftspolitische Mythen zu Grabe trug und gleichzeitig motivieren konnte, die politische Debatte mit den Mitbewerbern offensiv zu führen.